In der Debatte um das zukünftige Gedenkkonzept der Stadt und den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche veröffentlichten am 2. April 2013 die Potsdamer Neuesten Nachrichten ein Interview mit Prof. Heinz Kleger, Lehrstuhl für politische Theorie der Universität Potsdam und Vorstandsmitglied des Vereins „Neues Potsdamer Toleranzedikt“.
Anhand der Konflikte, die in Potsdam über die praktizierte Gedenkkultur ausgefochten werden, könne die Stadtbürgerschaft auf allen politischen Seiten aus seiner Sicht auch wachsen.Wichtig sei es, die Arbeit an der Geschichte für die Gegenwart und Zukunft zu nutzen.
Das Toleranzedikt – als Stadtgespräch verstanden – könne zu diesem Prozess beitragen, indem es versucht „milieu- und stadtteilübergreifend die heutige Fragmentierung in Parallelwelten ein Stück weit aufzubrechen“.
Hier der gesamte Wortlaut des Interviews:
Herr Professor Kleger, vor fünf Jahren haben sie das neue Toleranzedikt für Potsdam veröffentlicht. Warum wird in dieser Stadt scheinbar besonders leidenschaftlich um das Thema Gedenkkultur gestritten?
Potsdam ist geradezu überladen mit Geschichte – als preußische, französische, sowjetische und DDR-Stadt. Dieser Erinnerungsort mit seinen giftigen Erbschaften überfordert uns alle, insbesondere die Kommunalpolitik. Potsdam war zudem Frontstadt des Kalten Krieges, mit allen wissenschaftlichen Einrichtungen, die dazugehörten. Die äußerst emotional geführten erinnerungspolitischen Debatten belegen, dass es enorm schwierig ist, eine engagierte Distanz zu halten, die lehrreich sein könnte. Schließlich geht es ja darum, etwas aus der Geschichte zu lernen.
Ist die aktuelle Gedenkkultur-Debatte tatsächlich auch eine breite Diskussion in der Bevölkerung – oder ist sie doch nur für bestimmte Potsdamer interessant?
Das ist schwierig zu beurteilen. Mir scheint: Immer wenn es um die DDR-Vergangenheit geht, ist es eine breite Debatte, die viele Menschen berührt, siehe die Diskussionen um den Treffpunkt Freizeit, das Hotel Mercure oder den Schwimmbadstandort Brauhausberg. Die ganze Diskussion um die historische Mitte gehört auch dazu. Der Historiker Martin Sabrow hat von einem verbissenen Zweikampf gesprochen, „den die restaurierten Zeugen der preußischen Vorvergangenheit mit den verfallenen Relikten des gebauten Sozialismus austragen“. Potsdam als historischer Ort zieht gewissermaßen große Visionen von außen an, was einen Großteil der Bevölkerung wenig kümmert. Sie haben andere vordringliche Sorgen, wie die Mietpreisentwicklung, die Infrastruktur, Jugendzentren und Sportplätze.
Sie beschreiben Potsdam als zerrissene Stadt in Sachen Gedenkkultur. Ist dann zu diesem Thema ein Gedenkkonzept, wie es die Stadtverwaltung plant, überhaupt sinnvoll und vorstellbar?
Die kontrastreiche Vergangenheit der Stadt zwischen Toleranz und Intoleranz birgt für uns die Herausforderung, das Gedenken nicht auf eine Vergangenheit zu reduzieren. Die Vielschichtigkeit der Vergangenheit wie der gegenwärtigen Erinnerungsperspektiven bietet ein Konfliktpotenzial auch für die Zukunft, an dem die Stadtbürgerschaft auf allen politischen Seiten aber auch wachsen kann. Die Stadtgesellschaft sollte sich auf ein Spektrum an gemeinsam getragenem Gedenken verständigen, als auch unterschiedliche Deutungen und jeweils eigenes Gedenken aushalten. Die widersprüchliche Geschichte der Stadt sollte auf jeden Fall im öffentlichen Raum präsent sein. Potsdam ist zum Beispiel auch die Stadt von Liebknecht, Moltke, Ossietzky, Tschäpe und anderen.
Werden auch in anderen Städten solche aufgeregten Debatten geführt – oder sind Eklats wie etwa zum „Tag von Potsdam“ eine Potsdamer Spezialität?
Für die Größe von Potsdam ist die Dichte vergangenheitsorientierter Debatten, die etwa um Straßennamen, Ehrenbürgerlisten und Denkmäler geführt werden, geradezu überwältigend. Man hat manchmal das Gefühl, die Stadt werde als Freiluftmuseum hergerichtet, nicht zuletzt für Touristen. Damit tritt die Musealisierung der Geschichte in den Vordergrund, statt die Arbeit an der Geschichte für die Gegenwart und Zukunft. Das neue Toleranzedikt versucht dazu, einige Anregungen zu geben. Die Stadt mit ihren Widersprüchen, Brüchen und Kontrasten könnte ein anschauliches und vitales Forum sein, um ein Nachdenken überhaupt erst in Gang zu bringen, wie fragil die zivilen Grundlagen unseres Zusammenlebens sind. Das Toleranzedikt – als Stadtgespräch verstanden – versucht milieu- und stadtteilübergreifend die heutige Fragmentierung in Parallelwelten ein Stück weit aufzubrechen.
Wie beurteilen Sie denn den Eklat am „Tag von Potsdam“, als linke Aktivisten in Nazi-ähnlichen Uniformen den offiziellen Gedenkspaziergang der Stadt kaperten.
Dieser Eklat hat mich nicht überrascht. Seit den 60er Jahren versuchen Linksradikale mit Faschismusvorwürfen bewusst zu provozieren, was ihnen immer wieder gelingt. Man muss ihnen widersprechen, ohne sich allzu sehr aufzuregen. Leichter gesagt als getan. Diese Auseinandersetzungsformen sind auf jeden Fall ein permanentes Thema des Toleranzedikts. Mehr überrascht im positiven Sinne hat mich am 15. September 2012 die breite friedliche Demonstration gegen einen Nazi-Aufmarsch, obwohl die relativ große linksradikale Szene mit Demonstrationsaufrufen wie „Nazis jagen“ mit dabei war. Man kann mit ihnen reden und sollte es weiter tun.
Vor allem der Wiederaufbau der Garnisonkirche spaltet die Potsdamer in Befürworter und Gegner – was würden Sie empfehlen, um diesen Konflikt zu befrieden?
Die Debatte um den Wiederaufbau der Garnisonkirche ist historisch-politisch besonders aufschlussreich. Es gibt gute Argumente dafür und dagegen. Kritiker sprechen witzigerweise vom Toleranzdelikt, indem sie das Thema auf den Tag von Potsdam am 21. März 1933 reduzieren. Die Wirkung und Folgen dieses Ereignisses sind eine große Bürde für das Wiederaufbauprojekt. Wir müssen diesem Dämon ins Gesicht schauen, ohne uns von ihm unsere eigene gegenwärtige Geschichte diktieren zu lassen. Die Frage, die sich stellt, ist, ob die Last der Vergangenheit als Argument genügt, um gegen den Wiederaufbau mit neuem Konzept zu sein. Zudem stellt sich die Frage, wie ein neues Konzept breiter und offensiver vermittelt werden könnte, sodass es von der Stadtgesellschaft mitgetragen würde. Das Gespräch ist hier noch nicht beendet.
Die Fragen stellte Henri Kramer